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Cordelia Giller, Grünring 8, 9524 Zuzwil, 079 430 51 33 - Dipl. Hundepsychologin ATN - BVET anerkannte Hundetrainerin / SKN

Ontogenese


Während der Jugendentwicklung des Hundes kann sich die Beziehung zu seinen Bezugspersonen dramatisch verändert. Verhaltensveränderungen während der Jugendentwicklung sind einer der Risikofaktoren für die Abgabe des Tieres. Besonders betroffen davon sind Rüden grösserer Rassen und in steigender Zahl auch Vertreter der Hütehunderassen.

Rückschritte im Verhalten eines Hundes nach der Welpenzeit haben oft nichts mit dem Scheitern der Erziehung über positive Verstärkung zu tun, sondern sie spiegeln innere Veränderungen wieder.

Es ist nicht ausreichend auf die Steuerung der Verhaltensentwicklung während der Welpenzeit zu achten - auch die Zeit von Erreichen der Geschlechtsreife bis zum erwachsenen Tier bedarf einer sorgfältigen Betreuung.

Konzepte und Definitionen

Verhaltensontogenese

Ontogenese ist die individuelle Entwicklung eines Organismus vom Zeitpunkt der Befruchtung bis zu seinem Tod. Nicht nur der Körper eines Individuums entwickelt sich im Verlauf des Lebens, sondern auch sein Verhalten.

Wie diese Entwicklung verläuft und was sie beeinflusst, ist Gegenstand der Verhaltensontogenese. Wie alle Organe und physiologischen Funktionen, so unterliegt das Verhalten genetisch bestimmten entwicklungsbedingten Veränderungen, die auf Reifung und Lernen beruhen.

Verhaltensphylogenese

Die Verhaltensphylogenese befasst sich mit der stammesgeschichtlichen Herkunft und Entwicklung, also der Evolution des Verhaltens.

Das Konzept der Sensiblen Phasen

Bei den meisten Tierarten sind sensible Phasen in der Verhaltensontogenese vorhanden. Die Arbeitsdefinition für "Sensibel Phase" ist: Zeitabschnitt während der Verhaltensentwicklung, in dem bestimmte Erfahrungen einen grösseren Einfluss auf die Entwicklung des Individuums haben als zu einer anderen Zeit.

Prägung

Prägung ist ein einmaliger und nicht umkehrbarer Einbau bestimmter individueller Erfahrungen in genetisch fixierte Verhaltensprogramme. Es handelt sich um eine Sonderform des assoziativen Lernens.

Lernvorgänge die nicht alle Kriterien der Definition Prägung erfüllen heissen: prägungsähnliche Vorgänge. Die Grenzen beider Kategorien sind fliessend und nicht immer leicht zu erkennen.

Verhaltensontogenese des Haushundes

Historisches

Menzel und Scott & Fuller führten frühzeitig zu der Interpretation, dass juveniles Verhalten bei Hunden stark genetisch bestimmt ist.

Was sind Entwicklungsphasen

Entwicklungsphasen sind Abfolgen von Entwicklungsschritten, die vorgeburtlich beginnen und mit dem Adultstadium enden. Dieses Konzept stammt eigentlich aus der anatomischen Embryologie und lässt sich nicht ohne weiteres auf verhaltensbiologische Vorgänge übertragen.

Funktionale Perspektive

Das sich entwickelnde Jungtier ist angepasst an sein gegenwärtiges Umfeld. Verändert sich dieses Umfeld, so verändert sich auch das Verhalten.

Mechanische Perspektive

Bei dieser Betrachtung spielen Fragen nach bestimmten Fähigkeiten eine besondere Rolle, zu welchem Zeitpunkt öffnen sich die Augen? Wann treten die ersten Spielkämpfe auf?

Modell nach Scott & Fuller

Transitionale Phase (13 - 21 Tage)

Lernen findet in dieser Phase statt!

Im Durchschnitt beginnen Welpen am 15. Tag operantes Verhalten an Futter zu zeigen.

Phase der Sozialisation (20 - 84 Tage)

Die Welpen zeigen die wesentlichen Elemente hundlichen Ausdrucksverhaltens - das Auftreten dieser Reaktionen steht weitestgehend unter genetischer Kontrolle. Zu diesem Zeitpunkt haben Welpen bereits eine ausgereifte Wahrnehmung und können komplexe visuelle und auditorische Signale verarbeiten.

Sensible Phasen und Sozialisation

Sozialisation findet auch noch ausserhalb der sensiblen Phase statt, aber sie verläuft dann langsamer.

Während der sensiblen Phase gibt es eine Zeit der starken Sympathikus-Aktivitäten, Ängste treten mit grösserer Wahrscheinlichkeit auf.

Juvenile Phase

Als äusseres Merkmal gilt der Übergang zwischen den beiden Abschnitten Beginn und Abschluss des Zahnwechsels.

Die Pubertät ist ein einzelner Abschnitt der Juvenilen Phase. Während der Pubertät wird die Geschlechtsreife erreicht - diese tritt beim Haushund sehr früh ein, im Schnitt von 6. bis 12. Lebensmonat.

Nach dem Erreichen der Geschlechtsreife ist die Pubertät abgeschlossen, es folgt die Adoleszent. Diese dauert bis hin zum 24. Lebensmonat.

Die gesamte Jugendentwicklung beim Haushund geht bis zum 35 Monat.

Die Jugendentwicklung nach der Pubertät ist gekennzeichnet durch auffällige Veränderungen:

  • Starkes Wachstum der Entwicklung sekundärer Geschlechtsmerkmale
  • Reaktivität und Emotionalität
  • Hyperaktivität
  • Steigerung der Aggressivität
  • Auffällige Verschlechterung der Lernleistung

Diese Veränderungen betreffen nicht nur das Hormonsystem, sondern auch das Gehirn.

Nervensystem und hormonelle Veränderungen

Hormonelles Milieu

ein grosser Teil der Veränderungen während der Jugendentwicklung hängen mit einem Anstieg der Spiegel der Geschlechtshormone zusammen. Hormone verändern die Reaktionsgrenzen, die Auslösbarkeit, verschiedener Verhaltensreaktionen.

Einfluss der Geschlechtshormone

Während der Jugendentwicklung nach der Welpenzeit steigt der Spiegel der Geschlechtshormone sehr stark an.

Die wichtigsten Geschlechtshormone der Hündin sind Östrogen und Progesteron.

Beim Rüden wird in spezialisierten Zellen der Hoden (Leydigsche Zellen) das männliche Geschlechtshormon Testosteron produziert.

Bei der Hündin führt der markante Östrogenanstieg zu den äusserlichen Veränderungen der Geschlechtsorgane, zu einer auffallenden Veränderung des Verhaltens und zur Läufigkeit.

Denken wir an Pubertät, so denken wir oft an die Geschlechtshormone, doch diese Annahme konnte nie richtig bestätigt werden.

Der Spiegel des Stresshormons Kortisol ist während der Adoleszenz deutlich höher als während der Welpenzeit und später beim erwachsenen Tier.

Dagegen ist der starke Anstieg der Stresshormone z.B. verantwortlich für eine stärkere Sensibilität gegenüber Stressoren und für das Risiko, Verhaltensauffälligkeiten zu entwickeln.

Entwicklung des Nervensystems

Primär wird Verhalten vom Nervensystem kontrolliert.

Auffallende Veränderungen einzelner Gehirnareale

Während der Adoleszenz reagiert der Mandelkern insgesamt empfindlicher und stärker auf Umweltreize - das Individuum wird "emotionaler" und reagiert ängstlicher.

Bei Hunden ist bekannt, dass während der Pubertät oder Adoleszenz Ängste entweder plötzlich auftreten oder sich verschlimmern. "Angstphasen" wird dieses Phänomen genannt, oder "Gespenstersehen".

Es ist eine gravierende Fehleinschätzung, denn die Motion Angst kann immer mit weiteren Reizen verknüpft werden, so dass die Liste der Angstauslöser für den jungen Hund immer umfangreicher werden kann.

"Angstphasen" auch in Verbindung mit mehr Trennungsstress sollten nicht als vorübergehende Erscheinung gewertet werden, sondern als Indiz für grössere Empfindlichkeit und als Risikofaktor für bleibende Anpassungsstörungen.

Von besonderem Interesse ist der präfrontale Kortex der Grosshirnrinde. Dieser Gehirnbereich ist bedeutend für die bewusste Ausführung von Aufgaben und die Lösung von Problemen. Während der Adoleszenz wird hier umstrukturiert und dabei die gesamte Region vorläufig verkleinert.

Neben dem Abbau von Synapsen in der Grosshirnrinde, der Vergrösserung des Mandelkern und der Verkleinerung des präfrontalen Kortex verändern sich während der Adoleszenz auch noch in verschiedenen Gehirnbereichen sowohl die Rezeptorendichte als auch die Rezeptorenempfindlichkeit für den Neurotransmitter Dopamin. Damit verbunden ist ein gesteigertes Neugierverhalten

Im Zusammenhang mit diesen Veränderungen stehen:

  • Leichtere Auslösbarkeit emotionaler Reaktionen wie Angst- und Aggressionsverhalten
  • Trennungsstress
  • Stärkeres Neugier- und Erkundungsverhalten
  • Leichtere Ablenkbarkeit
  • Probleme beim Lernen und beim Abrufen von Gedächtnisinhalten.

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